Der Eierbecher

Was wäre das Frühstück ohne ihn, den Eierbecher?

Gerade eben dem kochenden Sud entronnen, rollt das Ei als instabiles Etwas über den Frühstückstisch auf der Suche nach Halt. Die Frühstücksgesellschaft ist etwas genervt ob des Fremdkörpers, der immer genau da liegt wo die Hand hingreift oder immer genau dann unkontrolliert zu rollen beginnt, wenn man ihm Teller, Marmeladenglas oder Kaffeebecher entzieht, an den er sich so wohlig angekuschelt hat und zur Ruhe gekommen ist. Zu allem Überfluss ist der Fremdkörper so heiß, als würde man seine Finger in glühende Lava tunken. Bloß nicht anfassen!

Ein Kaffeelöffel oder ein Buttermesser schiebt den Störenfried lieblos auf dem Tisch herum, immer gerade so kontrolliert, dass er nicht vom Tisch gestoßen wird und auf dem neuen Teppichboden in einer gelben Pfütze zerplatzt. Gut, dass auf der Tischdecke ein Honigfleck ist, der seine Bewegung abbremst. Ein armseliges Leben, so herumgeschubst zu werden. Das kann nicht im Sinne seiner Erzeugerin gewesen sein, einer großen braunen, dicken Henne namens Hannah.

Die Eierwelt  wäre wahrlich trostlos, gäbe es nicht den Helden der Standfestigkeit, den Retter der vertikalen Achslage und Sockel der Erhabenheit. Schluss mit der Orientierungslosigkeit und dem Wälzen in klebrigen Krümeln. Die Reinheit der Schale ist das höchste Gut. Verlockend steht es nun da, das Oval der Begierde – über Teller und Käsebrettchen thronend, weithin sichtbar und stolz. Eine Trutzburg im Kalkmantel, Herrin über Salz und Senf. Der Gral des Lecithin und des Albumin.

Auf einmal genießt es Wertschätzung und allseitige Bewunderung. Brot, Brötchen, Pumpernickel oder pur? Die Entscheidung fällt schwer. Gesalzen oder in voller Reinheit? Pellen oder köpfen? Harter Hund oder weiches Herz? Mehr Aufmerksamkeit geht nicht.

Da lacht das Ei, verschwindet … und lässt nur ein Häufchen Schale zurück.